Virtuosität im Dienst des Ausdrucks Jan Lisiecki im Bieler Farel
Das feinsinnig subtile Spiel des Alexandre Dubach Alexandre Dubach und Dagmar Clottu
Beeindruckende Tiefe und technische Reife Frederik Bager im Farel
Eigener Klang Belcea-Quartett im Logensaal
Vielfältiges Programm, nicht immer ausgereift
Frederic Bager im Kulturzentrum +La Prairie"
T
Bewusste und souveräne Gestalter
Simon Wiener, Violine, Silvia Fraser, Klavier
Virtuosität im Dienst des Ausdrucks
Jan Lisiecki, der junge
Weltstar, gastierte im Farel in Biel. Der kleine Saal mit gut zweihundert
Plätzen und der kleine Flügel – ein Steinway B211 – behagten ihm. Einzig die
schwüle Sommerhitze an diesem heiss-feuchten Tag machten ihm zu schaffen. Am
liebsten hätte er bei offenen Schiebefenstern zum Hof gespielt, aber da waren
doch störende Geräusche, die das verunmöglichten.
Er
begann mit einem leichten Stück von Mozart, den Variationen über
„Ah vous dirai-je, Maman“, einem französischen Kinderlied. Er spielte sie sehr
zügig, mit klarem Klang, fast ohne Pedal, so dass sie brillant wirkten.
Erstaunlicherweise passiertem ihm kleine Fehler und Aussetzer, die wir aber den
klimatischen Bedingungen zuschreiben, denn technisch ist der sympathische junge
Pianist eigentlich unfehlbar. Die „Nachtstücke“ op. 23 von Robert Schumann
gerieten trotz der Schwüle im Saal vielleicht etwas nüchtern, aber im Grunde
sind die Stücke auch nicht vom schwärmerischen Schumann, sondern eher von der
skurrilen bis makabren und grotesken Art. Lisiecki holte hier aus dem Flügel
auch sehr aparte Klänge heraus, welche seine spezielle Anschlags- und Klangkunst
zur Geltung kommen liessen. Noch ganz besonders trat diese Kunst in „Gaspard de
la nuit“ von Maurice Ravel hervor. Da trat die unglaubliche Virtuosität ganz in
den Dienst der Klangvorstellungen, von den feinsten Wellenbewegungen zu
rauschenden Wirbeln und überschäumenden Wogen in „Ondine“, eine statische Ruhe
und äusserst delikate Abstufungen in „Gibet“ und grotesk unruhige Klangfiguren
in „Scarbo“. Hier spürte man trotz des raschen Tempos, dass Jan Lisiecki
den musikalischen Ausdruck in den Vordergrund stellt, so dass auch dieses
virtuose Glanzstück nie zur Demonstration von überlegener Technik verkam,
sondern wohl sehr nahe an den Vorstellungen des Komponisten lag. Das war ein
ungemein beeindruckendes musikalisches Erlebnis.
Nach der Pause fuhr Lisiecki mit den eher selten als ganzer Zyklus gespielten
„Morceaux de fantaisie“ op. 3 von Serge Rachmaninoff weiter. Da lag
eindrucksvolle und kraftvolle Technik nahe bei Melancholie und verhaltenen
Stimmungen, wunderbar ausbalanciert und auch bei grossen Ausbrüchen den Flügel
immer klingen lassend.
Ebenso magistral zum Abschluss das Nocturne op. 72 Nr 1 von Frédéric Chopin mit
einem aufgewühlten Mittelteil, das Lisiecki nahtlos in das ebenso aufgewühlte
Scherzo Nr 1 in h-moll überführte. Auch hier einerseits eine technische
Bravourleistung, die aber nicht im Vordergrund stand, sondern im Dienste des
verzweifelten Ausdrucks stand. Lisiecki bewies auch hier, dass er viel riskiert
und sich ohne Rückhalt, nur im Vertrauen auf sein Können ganz in die
Interpretation des Werks stürzt. Die „Träumerei“ aus den Kinderszenen von
Schumann, ganz intim und sehr nüanciert gespielt, rundete als Zugabe einen
grossartigen und nachhallenden Klavierabend ab.
Das feinsinnig subtile Spiel des Alexandre Dubach
Im Rahmen der Konzertreihe „Ars musica“ hat die Pianistin Dagmar Clottu den Violinisten Alex-andre Dubach zu einem Duo-Konzert eingeladen. Im überfüllten Saal der Adventistenkirche traten die Künstler zu einem abwechslungsreichen und anspruchsvollen Programm an. Sie begannen mit der vierten Sonate für Cembalo und Violine in c-moll BWV 1017. Der Geiger spielte fein ziseliert und agogisch differenziert mit feinen Nüancen und einem leichten Ton. Es lag wohl auch am Klang des Flügels, dass sich das klangliche Gleichgewicht zwischen den drei selbstständigen und unabhängigen Stimmen nicht einstellen wollte. Dagmar Clottu bemühte sich zwar, die zwei Stimmen des Tasteninstruments plastisch zu gestalten aber gleichzeitig war ihr Spiel etwas zu stereotyp und konnte mit der feinsinnigen Gestaltung des Geigers nicht mithalten.
Die Sonate von Claude Debussy gelang beiden besser im klanglichen Zusammenspiel. Auch hier begeisterte vor allem Dubach mit seinen leisen, aber immer erfüllten Tönen. Doch auch der Pianistin gelangen hier klanglich schöne Momente.
Nach der Pause nahmen die zwei Musiker die bekannte Sonate in A-Dur von César Franck in Angriff. Hier erreichte das Duo am ehesten klanglich die Vorstellung eines ausgeglichenen Duo-Spiels, obwohl das Klavier hier oft vorherrschend ist. Doch hier passte der Klang des Flügels gut zum spätromantischen Werk. Es war nicht allerletzte Vollendung – die Pianistin litt offenbar unter der Temperatur im voll besetzten Saal – aber doch eine sehr ansprechende Darbietung. Im ersten Teil spielte Dubach eine neue Komposition der Berner Komponistin Ursula Gut, ein Stück für Solo-Violine mit dem Titel „Arabadus“ nach einem Märchen von Ernst Kreidolf. Die Musik erzählt das Auftauen eines Eiszwergs bis hin zu einem freundlich Lachen recht anschaulich und Alexandre Dubach brachte das Werk äusserst subtil zum Klingen.
Den begeisterten Beifall beantworteten die Künstler mit zwei Zugaben, von Fritz Kreisler „Liebesleid“ und ein dem Virtuosen Dubach auf den Leib zugeschnittenes Paradestück, eine halsbrecherische Violin-Fantasie von Antonio Bazzini " La ronde des Lutins".
Beeindruckende Tiefe und technische Reife
Frederik Bager hat man vor drei Wochen im Kulturzentrum „La Prairie“ in Bellmund gehört. Damals gab es gewisse Einwände, Manches schien nicht ausgereift. Gestern spielte er im Farel in Biel in der Reihe REVELATIONS-JEUNES MAITRES und da erwies er sich wahrhaftig als junger Meister.
Wie in Bellmund begann er sein Programm mit der Sonate B-Dur KV 333 von Mozart, diesmal aber ohne Wiederholungen des jeweils zweiten Teils im ersten und zweiten Satz. Und er erzielte eine viel differenziertere Dynamik, auch wenn die Wiedergabe eigentlich recht geradlinig und schnörkellos war. Aber mit sehr lebendiger Artikulation, einer atmenden Phrasierung und – bei aller Strenge – doch sinnvollen Agogik. Auch die vier Klavierstücke von Prokofieff „Märchen der alten Grossmutter“ op. 31 erklangen schön gestaltet, profiliert und akzentuiert und doch mit feinsinnigen Klängen.
Grosse Erwartungen setzte man natürlich in die Sonate B-Dur op. 106, die „Hammerklavier“-Sonate, von Beethoven. Es ist ein Wagnis für einen jungen Pianisten wie auch für erfahrene Künstler, sich öffentlich mit diesem gigantischen Werk, das in jeder Hinsicht die grössten Anforderungen stellt, auseinander zu setzen. Frederik Bager hat diese Herausforderung begeisternd gemeistert. Er war technisch souverän sowohl im ausladenden ersten Satz wie im Scherzo. Und das Finale mit der gewaltigen Fuge von schier unermesslichen Ausmassen und ebensolchen Schwierigkeiten bewältigte er magistral mit Überlegenheit. Es war sowohl spannend wie beeindruckend und auch beglückend, ihm auf diesen oft schwindelerregenden Pfaden zu folgen. Ein Prüfstein ist auch das ausgedehnte Adagio, in dem sich mancher Pianist verlieren kann. Frederik Bager erreichte auch hier eine logische Geschlossenheit der sehr in die Breite entwickelten Sonatenform, kombiniert mit Variationen und man erlebte in diesem ausdrucksvollen Satz auch eine Versenkung in die Tiefen von Beethovens Musiksprache. Die ganze Sonate erlebte eine Wiedergabe, die sowohl technisch wie interpretatorisch auf der Höhe dieses monumentalen Meisterwerks stand. Das Publikum war zu recht sowohl ergriffen wie auch hingerissen. Eine passende Zugabe aus Robert Schumanns „Gesängen der Frühe“ rundete diesen wundervollen Abend ab.
Eigener Klang
Im Logensaal spielte vergangenen Sonntag das Belcea-Quartett (Corina Belcea, Axel Schacher, Violinen, Krzysztof Chorzelski, Viola, Antoine Lederlin, Violoncello) ein Programm mit Streichquartetten von Joseph Haydn, György Ligeti und Antonin Dvořak.
Das Quartett hat als Ensemble eine Persönlichkeit, ein Profil, wobei nicht eindeutig fest zu machen ist, ob dieser Eindruck von einer Persönlichkeit, etwa der Primgeigerin, ausgeht. Vielmehr hat man den Eindruck, dass es vier sehr individuelle künstlerische Persönlichkeiten sind, die sich zu einem sehr homogenen Quartett zusammenfinden. Am stärksten kam dies zum Ausdruck beim Streichquartett op. 96, dem „Amerikanischen“ von Dvořak. Da gab es Klänge von traumhafter Schönheit, vor allem im Piano und Pianissimo, obwohl die vier Streicher ihren Klang auch sehr stark und bewusst variieren können. Vom Wärme zu Kühlheit, von Nähe zu Fremdheit. Wunderbar waren auch die rhythmische Lockerheit bei aller Präzision und dazu die Lebendigkeit der Artikulation und der Akzentuierung. Und zum eigenen Klang des Quartetts gehört, das er nie dick aufgetragen wird, es ist Aquarell oder Gouache und nicht dick aufgetragenes Oel im Vergleich zur Malerei.
Eine Eigenschaft des Quartetts ist auch, dass es sich stilistisch anpasst, Dvořak hat einen anderen Klang als Haydn. Das Quartett op. 20 Nr. 4 wurde ohne Vibrato vorgetragen. Das ergibt einen eher dünnen, in den Lagen der E-Saite sogar entlich schrillen Ton. Es ergab sich aber auch eine unglaubliche Leichtigkeit und doch erhielt das Werk das nötige Gewicht. Denn es gehört zu der Serie in der Haydn das Streichquartett eigentlich erfunden hat. Waren Quartette vorher eher Serenaden oder Divertimenti mit Vorherrschaft der ersten Geige, so werden hier die Instrument absolut gleichwertig behandelt, es entsteht das ernsthafte Gespräch unter vier Individuen. In diesem Sinne erhielt die Interpretation auch alles was sie brauchte, um das kompositorisch meisterliche Werk zu voller Geltung zu bringen.
Auf Haydn folgte György Ligeti mit den „Métamorphoses nocturnes“ aus den Jahren 1953-1954. Da sprüt man noch sehr stark den Einfluss von Belá Bartók und von Ligetis Lehrer in Budapest, Sandor Veress. Dessen Einfluss vor allem darin, dass nichts zufällig erscheint, dass auch die wildesten kontrapunktischen Eskapaden durchdacht wirken und jede Note an ihrem richtigen Platz sitzt. Daneben gibt es in dem sehr disparaten, kaleidoskopartigen Werk auch Klänge, die für die damalige Zeit neuartig sind, der spätere experimentelle Ligeti kündigt sich an. Das Belcea-Quartett war auch diesem höchst anspruchsvollen Werk ein adäquater Interpret.
Vielfältiges Programm, nicht immer ausgereift
Frederic Bager im Kulturzentrum "La Prairie"
Im Kulturzentrum „La Prairie“ in Bellmund spielte am Sonntag der junge Pianist Frederic Bager ein recht abwechslungsreiches Programm. Beginnend mit Mozart, über Prokofieff zu Chopin und im zweiten Teil mit Alban Berg und Robert Schumann kamen verschiedenste Stile und Epochen zum Zug, in der Reihenfolge vielleicht etwas zufällig.
Die Sonate B-Dur KV 333 von Wolfgang Amadeus Mozart war technisch einwandfrei und in der Gestik durchaus lebendig, aber im Klang liess sie zu wünschen übrig. Es fehlte an dynamischer Differenzierung, die Skala bewegte sich zwischen Mezzoforte und Forte, die Skala im Pianobereich wurde kaum ausgereizt und auch beim Anschlag und in der Agogik fehlte es an Nüancen, das Ganze, mit allen Wiederholungen gespielt, wirkte zielstrebig aber eindimensional. Ein recht robuster Mozart ohne Tändelei, aber da wäre noch etliches Potential zum Feinschliff. Junge Pianisten spielen oft Werke zum ersten Mal vor Publikum, das war hier offenbar der Fall, und das ist naturgemäss oft ein Experiment mit Entwicklungsmöglichkeiten.
Recht plastisch dagegen die vier Stücke von Prokofieff „Contes de la Vieille Grand-mère“ op. 31. Da war doch viel charakteristische Gestaltung im Spiel. Zwiespältiger dagegen wiederum die Polonaise fis-moll op. 44 von Frédéric Chopin. Insgesamt fehlte es vielleicht an Gesamtüberblick in dem recht aufgespaltenen Werk, auch dynamisch hätte man sich mehr Reichtum im Piano-Bereich gewünscht, während das Forte rasch etwas zu wuchtig geriet.
Die zweite Hälfte des Programms war zufriedenstellender. Sowohl die Sonate op. 1 von Alban Berg wie die späten „Gesänge der Frühe“ op. 133 von Robert Schumann waren interessante und erfreuliche Hörerlebnisse. Bei Alban Berg war die Gestaltung der expressionistischen Klänge einfühlsam und die Details wurden schön gepflegt während die Gesamtschau des einsätzigen Werks noch im Hintergrund blieb. Aber der Gesamteindruck war positiv.
Rundum einen guten Eindruck hinterliessen die fünf Stücke von Robert Schumann, die im Charakter auch nicht einfach zu erfassen sind. Da war neben technischer Sicherheit und einem diesmal nicht zu harten Klavierklang auch eine kluge Dosierung der Dynamik und eine differenzierte Anschlagskultur festzustellen.
Frederic Bager ist ein interessanter junger Interpret mit technischer Souveränität, der im Einzelnen noch nüancierter werden könnt. Er spielt demnächst in Biel ein etwas anderes Programm mit der „Hammerklavier“-Sonate op, 106 von Beethoven, da darf man gespannt sein auf ein sehr anforderungsreiches Werk. Daneben kommen Mozart, Prokofieff und Schumann erneut zum Zug. Ein Vergleich der Interpretationen wird spannend, der junge Pianist zeigt sich durchaus als entwicklungsfähig.
Neues, Unbekanntes und Überraschendes
Kammermusik-Konzert IV TOBS
Drei Musiker und zwei Musikerinnen des Sinfonieorchesters Biel Solothurn gaben letzten Samstag im Foyer des Bieler Theaters ein Konzert mit origineller Besetzung und originellem Programm. Drei Komponisten mit Schweizer Hintergrund steuerten Werke bei, der in der Schweiz geborene, aber mehrheitlich in Deutschland tätige Joachim Raff mit einem Streichquartett, der in Genf geborene aber jung nach den USA ausgewanderte Ernest Bloch mit zwei „Skizzen“ und der Tscheche und Weltbürger, aber in den letzten Lebensjahren in der Schweiz beheimatete Bohuslav Martinu mit einer Serenade. Dieses letztere Werk war das einzige in Originalbesetzung für zwei Klarinetten und Streichtrio. Bei den Streichquartetten von Raff und Bloch wurde jeweils eine Geigenstimme durch eine Klarinette ersetzt. Das änderte zwar das Klangbild, aber nicht den Gehalt der Kompositionen.
Von Joachim Raff erklang das siebte Streichquartett op. 192 in D-Dur , ein sechssätziges Werk, eigentlich eher eine Suite als ein klassisches Quartett mit dem Titel „Die schöne Müllerin“ (die andern zwei Werke des Opus 192 sind tatsächlich mit Suite bezeichnet). Raff hatte eine Vorliebe für poetische Titel, fast alle seine elf Sinfonien und viele Orchesterwerke sind mit Titeln versehen. Der in den letzten Jahren wieder entdeckte Raff, zu Lebzeiten berühmt, dann vergessen, musste sich seinen Rang als Komponist in jungen Jahren hart erkämpfen und schon als Jugendlicher wurde er im Kanton Schwyz, wo er als Sohna eines deutschen Lehrers aufwuchs, als „unerwünschter Ausländer“ ausgewiesen. Er marschierte auch bei strömendem Regen von Zürich nach Basel um sein Idol Franz Liszt zu sehen. Bei Liszt fand er später eine Anstellung als Sekretär und Instrumentator der frühen Orchesterwerke. Das Quartett zeugt von der grossen Begabung des heute als zweitrangig eingestuften Komponisten, es weist eine hohe Dichte auf, ist melodisch und harmonisch von grosser Vielfalt und sein einziger Nachteil ist, dass man das Vorbild Mendelssohn gelegentlich zu stark heraushört, in einer Zeit, in der die Musikgeschichte schon weiter fortgeschritten war.
Ernest Bloch schrieb 1925 in Amerika wo er nach schwierigen Jahren in Europa endlich anerkannt war, zwei kurze Stücke, Skizzen genannt „In the Mountains“, gemeint waren wohl die Savoyer Alpen vor der Genfer Haustür. Sie verkörpern den typischen Stil von Blochs Musik, verwurzelt in der Spätromantik aber auch beeinflusst von Debussy, in vielen Werken auch von jüdischer Folklore und geistlicher Musik.
Schliesslich spielten die zwei Klarinettisten Gérard Schlotz und Markus Niederhauser mit der Violinistin Erzsébet Barnácz, dem Bratschisten Rolf-Dieter Gangl und der Cellistin Brigitte Fatton die Serenade Nr. 4 von Bohuslav Martinů. Auch dieser Komponist hat einen unkonventionellen Werdegang und war durch die Geschichte des 20.Jahrhunderts zu Ortswechseln gezwungen, von Tschechien nach Paris, über Umwege nach den USA und zurück nach Europa in die Schweiz. Martinus Stil ist unverwechselbar mit einer oft vertrackten Rhythmik, Einflüssen von böhmischer Folklore und amerikanischem Jazz und einer Harmonik, die oft einfach und doch immer überraschend und eigenartig im wahrsten Sinn ist.
Bleibt anzufügen, dass die fünf ausgezeichneten Musikerinnen und Musiker der Sinfonieorchester das überaus originelle und im besten Sinne „lehrreiche“ Programm – man lernte viel Neues, Unbekanntes und Überraschendes kennen – auch hervorragend vortrugen und das leider etwas spärliche Publikum sehr auf ihre Seite zogen. Als Zugabe erklang sinnigerweise ein Schweizer Volkstanz aus der Innerschweiz.
Energiegeladen und leidenschaftlich
Im Bieler Logensaal lud die Société philharmonique von Biel vergangenen Sonntag zu einem Konzert mit dem Trio Wanderer. Die drei erfahrenen Franzosen Vincent Coq, Klavier, Jean-Marc Philiiips-Varjabédian, Violine, und Raphaël Pidoux, Violoncello, spielten das erste Klaviertrio von Robert Schumann und das erste Klaviertrio von Johannes Brahms, dazwischen „Trois nocturnes“ aus dem Jahr 1924 von Ernest Bloch.
Das Ensemble spielt seit drei Jahrzehnten zusammen und hat einen guten Ruf. Schon bei einem früheren Besuch im Logensaal ist aufgefallen, dass die drei Musiker sich nicht bloss hervorragend untereinander verstehen, dass sie aber auch zu einem recht kompakten und zupackenden Spiel neigen. Sowohl im Trio von Schumann wie bei Brahms, dessen Trio in H-Dur in der Erstfassung gespielt wurde, ist eine Spielweise „mit Energie und Leidenschaft“ (so die Satzüberschrift des ersten Satzes bei Schumann) auch weitgehend angebracht. Gelegentlich überbordet die Klangfülle und wirkt auf Dauer fast etwas ermüdend. Vor allem im dicht gesetzten Trio von Schumann, das auch wenig eingängige oder profilierte Themen aufweist, kam die Stimmführung dadurch etwas zu kurz. Jüngere Trio-Ensembles setzen bei aller Emphase heute eher auf mehr Durchsichtigkeit und Klarheit. Trotz dieser Einwände waren die Interpretationen durchaus eindrücklich und riefen beim Publikum im gut besetzten Logensaal viel Beifall hervor.
Ob die Erstfassung des Trios von Brahms Vorzüge gegenüber der kürzeren Spätfassung aufweist, bleibe dahingestellt. Es scheint doch, dass manche Kürzung dem Werk eher gut tat, und oft sind spätere Fassungen eines inzwischen gereiften Komponisten von Klugheit und Verzicht auf Ausschweifungen geprägt.
Zwei Zugaben ergänzten das Programm, die letzte „Dumka“ des Trios mit demselben Namen von Antonin Dvořak und ein Finale „all'Ungarese“ von Joseph Haydn ergänzten das Programm und bestätigten weitgend die Eindrücke des ganzen Konzerts.
Die Bourg-Konzerte haben allerlei in ihrem Programm, von Jazzigem über Folklore
und Salonmusik bis zu Klassik und
in diesem Bereich überraschen sie ab und zu mit Weltklasse. So gastierte letztes
Jahr der Pianist Radu Lupu und nun haben sie das Talich-Quartett aus Prag in die
Bieler Stadtkirche eingeladen. Von Zeit zu Zeit wundert man sich über das Bieler
Publikum. Es gilt als aufgeschlossen und interessiert, aber manchmal zweifelt
man auch, wenn ein Streichquartett der Weltklasse nur gerade mal rund achtzig
Leute in die Stadtkirche lockt. Und das dazu noch bei Gratis-Eintritt und einer
minimen Vorgabe für die Kollekte.
Für
die Anwesenden war das Konzert ein Hochgenuss, die vier Musiker Jan Talich und
Roman Patocka, Violinen, mit Radim Sedmidubsky, Viola, und Petr Prause,
Violoncello, erweckten Wohlgefallen zu Beginn mit einem spätromantisch
schwärmerischen „Langsamen Satz“, einem frühen Werk aus dem Jahr1905 von Anton
Webern. Es ist ein ausladendes Stück voller melodischer Erfindung mit einem
dramatischen Mittelteil und einem zart verlöschenden Schluss, beinahe eine
kleine sinfonische Dichtung. Die klanglichen Qualitäten des Talich-Quartetts
konnten in diesem Eingangf aufs Feinste ausgelotet werden.
Dass die vier Musiker auch zupacken können, zeigten sie in dem energiegeladenen
Streichquartett in e-moll op. 59/2 von Beethoven. Das zweite der drei
Rasumovsky-Quartette op. 59 ist ein vielschichtiges und komplexes Werk, im
Scherzo mit einem russischen Volkslied und wurde anfangs als bizarr empfunden.
Das Talich-Quartett brachte es in seiner ganzen Vielseitigigkeit mit
Energieausbrüchen und choralartiger empfindsamer Schlichtheit bis zu dem
kontrpunktischen Spiel mit dem Volkslied-Thema zu eindrücklicher Wirkung.
Ein meisterhafter Gestalter am Klavier
David Kadouch ist seit Jahren einer der erstaunlichsten jüngeren Pianisten. Er
berührt durch seine Emotionalität, durch seine Identifikation mit dem Werk,
basierend auf gründlicher Auseinandersetzung mit Werk und Komponist. Man ist
immer fasziniert von seinem Spiel, ob man nun im Einzelnen mit seiner
Interpretation einverstanden ist oder nicht. David Kadouch lässt seine Zuhörer
nicht kalt.
Im Bieler Saal des Farelhauses spielte er ein spannendes, naturgemäss kontrastreiches und vielseitiges Programm zum Thema „Revolution“. Er begann mit einem unbekannten Stück eines weitgehend vergessenen Komponisten, den „Souffrances de la Reine Marie Antoinette“ von Jan Ladislav Dussek. Es sind eine Folge von kurzen, charakteristischen und ausdrucksvollen Szenen von der Verhaftung bis zum Tod und der „Verklärung“ der französischen Königin. Durchaus passend folgte die Sonate op. 81a „Les Adieux“ von Ludwig van Beethoven, musikalisch auf einer weit höheren Ebene stehend, obschon stilistische Verwandtschaften auch vorhanden sind. Es ist ein Zeugnis von Freundschaft, von Verlust und vom Wiedersehen einer geliebten Person. Hört man in die fein gearbeitete Musik hinein, so war die Freundschaft zwischen Beethoven und dem österreichischen Erzherzog Rudolf tatsächlich Liebe, so genau und so tief sind die Gefühle des Abschieds, der Schmerz während der Abwesenheit und die Freude bei der Wiederkehr empfunden. David Kadouch wurde dem Charakter des Werks auf wunderbare Art gerecht, selten hat man die Motive der Entfernung (das sich entfernende „Lebewohl“-Motiv) , des Trennungsschmerzes im langsamen Satz und der ekstatischen Freude im Finale so deutlich gehört und empfunden. Das war eine grossartige Interpretation jenseits der technischen Fragen (vor allem im Schlusssatz).
Als Ergänzung des Programms spielte der Pianist die Variationen über „Weinen,
Klagen, Sorgen Zagen“ von Franz Liszt; ein Werk das ich von ihm bereits vor
Jahren in Verbier gehört habe und das an Reife in all der Zeit gewonnen hat.
Die zweite Hälfte des Programms war mit „Funérailles“ von Franz Liszt, der
„Revolutions“-Etüde aus dem opus 10 von Frédéric Chopin und den „Feux
d'artifice“ aus dem zweiten Heft der Préludes von Claude Debussy noch fast
eindeutiger auf das Thema Revolution ausgerichtet. Den Hörer interessierte aber
in erster Linie die Musik und die Interpretation und da blieben keine Wünsche
offen. Sowohl die Brillanz wie die Stringenz, die Klanglichkeit wie die Kraft
kamen zur Geltung und David Kadouch beeindruckte sein Publikum ohne jede
Effekthascherei durch die sinngemässe Darstellung jenseits von technischen
Schwierigkeiten. Einen starken Eindruck hinterliess auch die letzte Komposition,
„Winnsboro Cotton Mill Blues“ von Frederic Rzwesky, einem Stück zwischen
Motorik, repetitiven Techniken und dem Echo eines traditionellen Blues. Die
Zugabe eines Walzers von Chopin zeigte ein letztes Mal die sensitive und
sensible Seite des meisterhaften Pianisten David Kadouch.
Ein Duo voll ansteckender Musizierfreude
Die Cellistin Anastasia Kobekina und der Cellist Johannes Przygodda spielten am
4. März im Kulturzentrum „La Prairie“ in Bellmund Werke für Solo-Cello und im
Duo. Für beide Kategorien ist die Werkliste nicht unüberschaubar, aber es gibt
doch einige lohnenswerte Stücke, etwa vom Franzosen Jean Baptiste Barrière oder
die Sonaten für Cello und Basso continuo von Luigi Boccherini.
Der
Vater von Anastasia Kobekina, Vladimir Kobekin, hat auch einen hörenswerten
Beitrag beigesteuert, und schliesslich erklangen am Schluss die
„Moses“-Variationen (über ein Thema von Rossini) von Niccolo Paganini in einer
Version für zwei Celli. Ebenso halsbrecherisch die hochvirtuose Sonate für zwei
Celli von Jacques Offenbach (der ursprünglich ein Cellovirtuose war, bevor er
mit Operetten als Komponist erfolgreich wurde). Für Cello solo wählten die zwei
Solisten die Suite in d-moll von Johann Sebastian Bach aus, die sie sich
untereinander satzweise aufteilten. Dabei ergab sich, dass die beiden jungen
Künstler einen sehr ähnlichen stilistischen Ansatz haben, einen schlanken,
vibratoarmen Ton und eine „sprechende“ Artikulation, beide sind technisch
versiert und zeigen eine makellose Intonation. Auch in den Solostücken von
Svante Henryson, eines Capriccio von Evaristo D´all Abaco (nicht zu verwechseln
mit Enrico d'allAbaco) zeigten die
zwei Preisträger hohes Können und bei beiden ist eine ausgesprochene und
ansteckende Musizierfreude und viel herzhafte Spontaneität spürbar, was das
ganze Konzert zu einem hoch erfreulichen Anlass machte.
Bewusste und souveräne Gestalter
Simon Wiener und Silvia Fraser in der Reihe REVELATIONS-JEUNES MAITRES
In der Reihe REVELATIONS – JEUNES MAITRES spielte im Saal des Farel in Biel der junge Schweizer Violinist Simon Wiener mit der Pianistin Silvia Fraser ein reichhaltiges und kontrastreiches Programm und konnte das Publikum sehr für sich einnehmen.
Die beiden Solisten begannen sehr mutig mit der komplexen, sowohl für das Publikum wie für die Spieler schwierigen Sonate Nr. 1 von Bela Bartók. Sonst behält man solche Brocken eher für den Schluss auf, doch das Wagnis ging auf. Die Pianistin wie auch der Geiger wirkten absolut sicher und konnten von Anfang an punkten. Der Geiger mit sauberem Bogenstrich ohne falsche Akzente und mit klug und logische gestalteten Linien, die Pianistin mit Arpeggien, die an Cimbalum-Klänge errinnert und im weiteren Verlauf mit forschem aber nicht zu hartem Anschlag. Man spürte, dass sich das Duo mit dieser Sonate gründlich auseinander gesetzt hat und so gestalteten sie auch den Formverlauf und die kontrastierenden Teile zu einem in sich geschlossenen Ganzen. Ausser der technischen Souveränität und der Energie bewunderte man auch den sublimen Ton und die reichhaltige klangliche Gestaltung des Violinisten. Als zweites Stück folgte die Sonate c-moll BWV 1017 von Johann Sebastian Bach mit einer Siciliana zu Beginn, die aus einer anderen Welt zu kommen schien. Die raschen Sätze gerieten mit viel Elan und sehr guter Artikulation von beiden Instrumentalisten. Auch hier keine grossen Töne vom Violinisten, der im meist dreistimmigen Gewebe gut eingebettet war, und mit einem eher leichtfüssigen aber akzentuiertem Spiel gefiel.
Die neuste Komposition „für februar“ des Geigers Simon Wiener erweckte Interesse und Gefallen. Es ist ein sehr bewusst aufgebautes Gebilde aus verschiedenen Elementen, welche in beiden Instrumenten variert und im Kontrast zueinander ausgespielt werden. Das Stück ist für den Hörer durchschau- und durchhörbar und trotzdem interessant zu verfolgen und konnte auf Anhieb auch Gefallen erwecken.
Zum Abschluss des sehr gut aufgenommenen Konzertes folgte die Sonate B-Dur KV 378 von Wolfgang Amadeus Mozart, ein meisterliches Werk aus den letzten Salzburger Jahren, das sowohl dem Klavier wie auch der Violine gleichermassen Gelegenheit zum glanzvollen Spiel bereitet und auch durch formale Eigenwilligkeiten für Überraschungen sorgt. Das lebhaft applaudierte Rezital ging mit einer der Romanzen für Oboe und Klavier von Robert Schumann in der Fassung für Violine zu Ende und entliess eine dankbare Zuhörerschaft.